Die Wirkung der Puppe

Puppenspiel ist eine ursprüngliche Art sich mit der Welt und der Seele in konkret handhabbarer Form auseinander zu setzen und ein Gleichgewicht zwischen diesen zu finden.
   Die Aufgabe des Puppenspielers veränderte sich im Lauf der Jahrhunderte – weg vom Diener höherer Mächte, die sich vorübergehend in Puppen niederließen, hin zum Unterhaltungsspiel.
   Im therapeutischen Puppenspiel tauchen die Zusammenhänge zwischen Puppen und Geistern wieder auf: Aus emotionaler Sicht als Dämon oder Geist, aus rationaler Sicht als Sinnbild intrapsychischer Repräsentanz, die über eine Puppe dargestellt werden kann.
   Welche Wirkung das Spiel mit Figuren und Objekten haben kann, ist einerseits durch physiologische (z.B. den Wahrnehmungsprozess) und andererseits durch psychologische Faktoren (z.B. Identifikation, Projektion und Repräsentanzen) bedingt.
   Die Puppe als Medium weist Besonderheiten auf.
   Aus lebloser Materie als Abbild des Menschen geschaffen, ist sie nach dem kreativen Prozess der Herstellung zunächst nichts als ein unbelebter Gegenstand. (Auf den therapeutischen Prozess der Herstellung kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden)
   Erst wenn man zu ihr eine Beziehung aufnimmt, kann man sie beleben. So gewinnt sie Bedeutung und Einmaligkeit ungeachtet ihres materiellen Werts. Durch diesen Vorgang wird sie zum Symbol.
   Diese Bedeutung muss sie nicht allgemein haben , sondern eventuell nur zu der Person, die ihr diese gibt.
   So kann sie für zwei Individuen gleichzeitig wertvoll und wertlos sein.
  

Zwei Beispiele sollen hieraus erwachsende Probleme erläutern:
   Nach der Zerstörung seiner aufblasbaren Sexpuppe durch Freunde griff der Besitzer die Täter mit einem Messer an. Das Angebot, eine neue Puppe zu bezahlen, beruhigte den Geschädigten nicht, sondern brachte ihn erst recht in Rage.
   „Du sollst nicht auf meinem Kinde stehen!“, sagte die spätere rumänische Königin ganz wütend zu ihrer Patin und entführte entrüstet und liebreich tröstend ihren Fußschemel.

   Der Erwachsene sagt: Das Kind nimmt den Fußschemel als seine Puppe, für das Kind jedoch ist der Fußschemel seine Puppe.
   Auch der nicht therapeutisch tätige Puppenspieler muss sich bewusst sein, dass sein Geschöpf im Laufe der Geschichte von den Zuschauern belebt werden kann und er jetzt nicht nur mit seinem Geschöpf umgeht, sondern auch mit dem der Zuschauer.


Die Puppe in der Pädagogik

Während im therapeutischen Rahmen Defizite in physischer und psychischer Hinsicht angegangen werden um Störungen zu beseitigen, will die pädagogische Praxis das Kind oder auch den Erwachsenen zu einem definierten Ziel führen.
   In der Regel konzentriert sich der Therapeut auf den Einzelfall und passt sich im Vorgehen der individuellen Situation seines Klienten an, während der Pädagoge im Regelfall einer größeren Gruppe gegenübersteht.

Die Puppe als diagnostisches Hilfsmittel

Durch den Einsatz eines Szenokastens (eine Art Puppenstube mit vielen Puppen unterschiedlicher Charaktere) können Spielszenen initiiert werden, die das Kind (oder der Erwachsene) gestaltet, die aus verschiedenen Gründen (z.B. Alter, Trauma, Hemmungen, Angst) sprachlich nicht ausgedrückt werden können oder sollen.
   In ähnlicher Weise werden „anatomische Puppen“ (Puppen mit äußeren Geschlechtsmerkmalen) verwendet. Die beobachteten Spielszenen werden dann interpretiert. Diese Interpretationen und vor allem Über- und Fehlinterpretationen haben in der Fachwelt heftige Diskussionen ausgelöst. Ins Besondere bei vermutetem Kindesmissbrauch gilt der Einsatz von anatomischen Puppen den einen als „Wunderdiagnostikum“, den anderen als „unheilvolles, da Falschaussagen provozierendes Machwerk“. Meines Erachtens liegt nicht in der Puppe und ihrer Stimulusqualität das Problem, sondern in der Angemessenheit ihrer Anwendung sowie der Fachkompetenz der Interpretatoren.

Die Puppe in der Therapie

Die Puppe eignet sich besonders gut als Hilfsobjekt zum Aufbau einer Struktur.
   Sie ermöglicht Vorgänge wie Projektion, Introjektion, Identifikation und Spiegelung.
   D.W. Winnicott beschreibt die Puppe als „Brücke“ zwischen intrapsychischer und äußerer Welt und bezeichnet sie als „Übergangsobjekt“.

Anmerkung : So ist das Übergangsobjekt z.B. Stellvertreter der Mutter und ihrer Brust, es ist nicht die Brust, aber es bedeutet sie, so kann ein Lutschen an der Puppe trösten und ersetzen.

Im Lauf seiner Entwicklung entzieht das Kind dem Übergangsobjekt seine Besetzung und erobert andere Bereiche, die seiner Entwicklung angemessener sind.
   Die Puppe wirkt wie eine Maske, ein Schutzschild, hinter dem verdrängte Gefühle zum Ausdruck kommen und Hemmungen verloren werden können. Sie ermöglicht damit ein nach außen Transportieren innerer Repräsentanzen.
   Das bedeutet, dass das innerpsychische Geschehen mit Hilfe von „Hilfs-Ichs“ (hier Puppen, die verschiedene Anteile der inneren Figuren repräsentieren) nach außen transportiert und eine Lösung oder Katharsis gefunden werden kann.
   Diese Ansätze finden im Psychodrama ihren therapeutischen Ausdruck.
   Das figurative Psychodrama hat gegenüber dem klassischen den Vorteil, dass es sich nicht nur praktisch einfacher gestalten lässt – man braucht weniger oder gar keine anderen Personen –, es ermöglicht auch die Antipoden selbst zu führen. Außerdem richten aggressive Ausbrüche geringeren Schaden an. Die Darstellung von Problemen wird durch das bereits vorhandene Repertoire von Figuren angeregt. Auch eine Distanzierung ist leichter möglich, so dass weniger Angst und Leistungsdruck auftritt.
   Auf diesen Grundlagen baut auch ein sprachtherapeutischer Ansatz mit Puppen auf.
   Sofern ein Sprachfehler psychisch bedingt ist, hilft dem Klienten eine Distanzierung von sich selbst und das Hineinschlüpfen in eine andere Rolle mittels der Puppe, Hemmungen und damit Sprachstörungen abzubauen. Da unbehandelte Sprachstörungen dazu neigen, sich durch Wiederholungen zu verfestigen, kann so - neben einer Ursachenforschung der psychischen Faktoren - ein therapeutisches Konzept aussehen.

Fazit

Grundsätzlich gehört ein therapeutischer Einsatz von Puppen nicht in die Hand von Puppenspielern, sondern von ausgebildeten Therapeuten, für die der Einsatz von Puppen nur eines von vielen notwendigen Instrumenten ist.
   Aber auch jeder Puppenspieler sollte sich bewusst sein, mit welchem Instrumentarium er umgeht und dass er neben der Vermittlung von einer (möglichst guten) Geschichte Dinge anregt, die für die Zuschauer eine große Bedeutung haben können.


Frieder Paasche, geb. 1946,  Kommunikationswissenschaftler, Therapeut und Regisseur, war über fünfzehn Jahre an der Medizinischen Hochschule Hannover (Medizinische Psychologie) tätig, arbeitet seither in freier Praxis sowie als Dozent, Supervisor und als künstlerischer Leiter und Spieler des Figurentheaters Vagantei Erhardt.

(Veröffentlicht in Deutsch und in Polnisch in: TEATR LALEK 3/78/2004)